Wie wählen? - Ein Briefwechsel zur Bundestagswahl 2021 (1/3)

Die Bundestagswahl steht an. Zwischen Wahlplakaten, Interviews, Flyern und langen Zeitungsartikeln stellen sich

Die Bundestagswahl steht an. Zwischen Wahlplakaten, Interviews, Flyern und langen Zeitungsartikeln stellen sich

die Autor:innen dieses Reihe in 6 kurzen Briefen die Frage, nach welchen Kriterien und Prinzipien man eigentlich eine solche Wahlentscheidung fällen sollte. Oder ist es am Ende sogar besser, gar nicht zu wählen, wenn niemand das Interesse repräsentiert?

Bild von Anastasia Borisova auf Pixabay

1. Brief

Im Juni war ich bei einem familiären Grillfest. Einer der Nachbarn verkündete bei einer Diskussion zu späterer Stunde, dass er seit der Wende noch nie eine Wahl gewonnen habe. Man muss dazu sagen, dass er aber auch noch nie für irgendein Amt kandidiert hat. Dennoch war die Aussage nur halb im Scherz gemeint, denn auf sie folgte eine Aufzählung seiner Wahlentscheidungen seit 1990 und wäre die Bundestagswahl ein Ponyrennen, bei dem man auf verschiedene Jockeys setzen könnte, so hätte unser Nachbar tatsächlich nie eine Wahl gewonnen. Politische Ämter sind allerdings keine Sportveranstaltung und so empfand ich die Aussage als einigermaßen irritierend. Opposition ist immerhin das, was eine parlamentarische Demokratie zu seiner solchen macht.   

Am 26. September wählt der wahlberechtigte Teil Deutschlands ein neues Parlament. Zur Wahl 2017 umfasste dieser gerade einmal etwas über 61 mio. Menschen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2019 dürften 2021 allerdings bedeutend mehr Menschen ihre Stimme abgeben können. Dennoch bleiben Bevölkerungsgruppen, deren Leben durch die Wahl zwar teils grundlegend beeinflusst wird, die aber dennoch kein Recht auf eine Stimmenabgabe haben: Kinder zum Beispiel oder auch alle Einwohner ohne eine deutsche Staatsbürgerschaft.  

Das ist kein unerheblicher Punkt. Angesichts einer Weltlage, in der die Visionen von der Zukunft sich zusehends wie Dystopien anhören und es mehr Menschen auf der Flucht gibt als jemals zuvor, empfinde ich das Wählen von Menschen in politische Ämter als bedeutungsschwer. Immerhin betrifft es nicht nur die wahlberechtigte Bevölkerung, wer am Ende über die Legislative wacht. Die Konsequenzen sind weit außerhalb der nationalen Grenzen und bis in den Tiefen der gesellschaftlichen Gruppen, die keine Wahl haben, zu spüren. Wer ein einfaches Beispiel dafür braucht, sei an das Brexit-Referendum verwiesen. 

Von diesem nächsten Parlament hängt es ab, ob der weltweite Kampf gegen unser eigenes, selbstverschuldetes Aussterben endlich ernstzunehmende Züge annimmt. Von ihm hängt es ab, ob die Menschen, die momentan in Afghanistan vor dem Tod fliehe, irgendwo ankommen werden. Von ihm hängt es ab, ob Menschen in Deutschland ein ernstzunehmender Weg aus der Armut gezeigt werden kann. Es geht nicht darum, die einzelne Stimme und individuelle Entscheidung über die Maße mit Bedeutung aufzuladen. Aber ein Wahlentscheidung sollte nach politischen Prinzipien gefällt werden und diese gehen natürlich über die persönlichen Nöte, Bedürfnisse und partikularen Interessen hinaus.  

Beispielsweise zahle ich, als Studentin, momentan keine Steuern. Ob Steuern erhöht werden oder nicht betrifft mich lediglich indirekt. Aber ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, dass über Sozialleistungen demokratisch entschieden wird und das Wohl vieler nicht von dem Wohlwollen einzelner superreicher Philanthropen abhängt. Entsprechend sehe ich das Vermögen dieser lieber besteuert als gutwillig als Stiftungskapital angelegt.  

Meine bisherigen Wohnungen blieben bislang alle von Folgen der Klimakrise verschont. Aber ich brauche nicht noch ein ZDF-Spezial mit Bildern von brennenden Tälern und überfluteten Straßen, um zu wissen, dass jede Entscheidung, die im Bundestag und in den Ministerien nicht ausdrücklich für den Kampf gegen den Klimawandel gefällt wird, über kurz oder lang an anderen Orten Leben kostet.  

Wenn immer mehr Länder zu Autokratien mutieren, dann ist die Wahlentscheidung nicht nur ein Recht, sondern auch eine Frage der Verantwortung. Das gilt gerade in einem Staat, der in allen internationalen Fragen aufgrund seiner Machtposition einen ernstzunehmenden Handlungsspielraum hat. Hier kann es nicht darum gehen, ob man auf die gewinnende Partei zu setzten vermag oder wie groß die persönlichen Gewinne ausfallen könnten. Hier geht es m.E. darum, in welcher Konstellation den eigenen politischen Prinzipien Rechnung getragen werden kann.   

Claudia Buder


Bild von webandi auf Pixabay
2. Brief

Dass die Wahlentscheidung nicht
nur ein Recht ist, sondern auch eine Frage der Verantwortung. Das wird mir nach den vielen Gesprächen mit meinen Teenagern besonders bewusst. 

Der Opa war bei der letzten Wahl so entsetzt über den enorm großen Wahlzettel, dass er ihn komplett durchgestrichen und darauf notiert hatte: „Ich wollte wählen, nicht tapezieren.“ 

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl säumen Wahlplakate unsere Arbeits- und Schulwege. Der Politikunterricht und die sozialen Medien liefern regelmäßig Themen, über die wir angeregt diskutieren. 

“Wie würdest du wählen?”, fragen mich die Teenies eines Abends. Ich hatte tatsächlich bisher nur darüber nachgedacht, wählen oder nicht wählen zu gehen, obwohl ich bisher an jeder Wahl teilgenommen habe. Im Alltag zwischen Vollzeitjob, Haushalt und Schule muss ich mir eingestehen, dass ich mir wenig Zeit nehme, um mich mit Wahlprogrammen mit mehr als 200 Seiten auseinanderzusetzen, Youtube-Videos oder Diskussionsrunden im TV zu verfolgen. 

Ich wünsche mir einen bezahlbaren Nahverkehr, bezahlbare Kulturangebote für Familien, Steuerentlastungen, mehr Unterstützung für Alleinerziehende, Kindergeld, Wahlrecht mit 16, Tempolimits auf Autobahnen, elternunabhängiges Bafög, gebührenfreie Bildung …  

Ich denke aber auch an die vielen fatalen Entscheidungen der Bundesregierung in der Zeit des Ausnahmezustands seit 2020 und den getroffenen Corona-Maßnahmen, den monatelangen Schul- und Universitätsschließungen, den verheerenden Folgen im Bildungsbereich aber auch die psychischen Belastungen bei KollegInnen, Freunden und Familienmitgliedern. 

Egoistisches Wahlverhalten warfen sie mir vor, nachdem ich ihnen meine Gedanken mitgeteilt hatte. “Du entscheidest mit deiner Wahl darüber, in welcher Zukunft wir leben müssen!”, entgegneten mir die Teenies in diesem angeregten Tischgespräch, denn den Weltfrieden und die Klimapolitik stehen nicht an erster Stelle.  

Ich führe Gespräche mit Freunden und der Familie. Die Gespräche hallen nach. Meine Wahlentscheidung gut überlegt zu treffen, scheint wichtiger als je zu vor. Nicht wählen bleibt nach wie vor keine Option. Der Wahlzettel auf dem Küchentisch wartet auf seine Kreuze und die Flut an Informationen, Wahlsprüche am Straßenrand und Wurfsendungen im Postkasten nimmt nicht ab.

Annett Wadewitz

Name

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Wie wählen? - Ein Briefwechsel zur Bundestagswahl 2021 (1/3)
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