Seit nun etwa zwei Jahren ist die COVID-19-Pandemie auch in Deutschland Begleiter*In des alltäglichen Lebens. Verschärfte Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Gesundheit der Bürger*Innen sorgen seither dafür, dass sehr viele Bereiche unserer Gesellschaft auf das Nötigste reduziert wurden . So fanden Fußballpartien vor leeren Zuschauer*Innentribünen statt, Kinos, Restaurants und Theater sind durch ausbleibende Besucher*Innen existenziell bedroht und im tertiären Bildungsbereich blieben die Vorlesungssäle und Seminarräume meist leer. Das öffentliche Leben war dadurch in allen Teilen des Landes sehr stark eingeschränkt. Einhergehend mit der Allgegenwärtigkeit dieser weitreichenden Einschnitte in Gesellschaft und Wirtschaft sind seit Anbeginn der Pandemie Stimmen präsent, nach welchen die Pandemie nicht nur einer Laune der Natur geschuldet ist. Eher sei diese ein von langer Hand kalkulierter Geheimplan der Eliten zur Dezimierung der Weltbe...
Seit nun etwa zwei Jahren ist die COVID-19-Pandemie auch in Deutschland Begleiter*In des alltäglichen Lebens. Verschärfte Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Gesundheit der Bürger*Innen sorgen seither dafür, dass sehr viele Bereiche unserer Gesellschaft auf das Nötigste reduziert wurden. So fanden Fußballpartien vor leeren Zuschauer*Innentribünen statt, Kinos, Restaurants und Theater sind durch ausbleibende Besucher*Innen existenziell bedroht und im tertiären Bildungsbereich blieben die Vorlesungssäle und Seminarräume meist leer. Das öffentliche Leben war dadurch in allen Teilen des Landes sehr stark eingeschränkt.
Einhergehend mit der Allgegenwärtigkeit dieser weitreichenden Einschnitte in Gesellschaft und Wirtschaft sind seit Anbeginn der Pandemie Stimmen präsent, nach welchen die Pandemie nicht nur einer Laune der Natur geschuldet ist. Eher sei diese ein von langer Hand kalkulierter Geheimplan der Eliten zur Dezimierung der Weltbevölkerung, kurz: eine Verschwörung. Dass solche Anschauungen zunehmend in die Öffentlichkeit getragen werden, gründet vor allem darin, dass sich die COVID-19-Pandemie gesundheits- und gesellschaftspolitisch als Krise manifestiert. Dies veranlasst viele Menschen dazu, die „tatsächlichen Hintergründe“ dieser Krise „entschlüsseln“ zu wollen, um Orientierung und Klarheit zurückzuerlangen. Instant-Messaging-Dienste haben in diesem Zuge enorm an Popularität dazugewonnen, wenn es darum geht, mit Gleichgesinnten zu interagieren und alternative Welterklärungsmuster zu teilen. Gleichzeitig wird Telegram für die Bevölkerung in autokratischen Systemen für die freie Kommunikation immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund thematisiert dieser Beitrag den Antagonismus von Telegram, in dem sich die freie Kommunikation und die Verbreitung prekärer, nicht regulierbarer Inhalte durch Randgruppen gegenüberstehen. Das führt zu der Frage, ob das Verhängen von Sanktionen respektive pauschaler Verbote zielführend wäre, um die Verbreitung ebenjener Inhalte zu unterbinden oder dadurch primär die freie Kommunikation eingeschränkt wird.
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Foto: motionstock auf pixabay |
Verschwörungstheorien sind kein neuartiges Phänomen, welche sich erst mit dem Aufkommen des Virus SARS-CoV-2 verbreiten. Sie existieren bereits seit Jahrhunderten, angefangen vom Hexenglauben im Mittelalter bis zu Erzählungen über Freimaurer*Innen, die die Weltherrschaft anstreben. Im Zuge der Expansion der COVID-19-Pandemie hat der Glaube an Verschwörungstheorien jedoch eine neue Dimension angenommen. Die Reichweite von verschwörungstheoretischen Inhalten wird dadurch erhöht, dass die Menschen im 21. Jahrhundert vermehrt über soziale Netzwerke kommunizieren. Große Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter haben daher bereits angekündigt, verschärft gegen die Verbreitung von Falschmeldungen vorzugehen. Dies hat viele Verschwörungstheoretiker*Innen dazu veranlasst, auf den Messaging-Dienst Telegram auszuweichen. Die Plattform gleicht in Hinblick auf seine Funktionalität grundsätzlich seiner Konkurrenz, bietet jedoch einen spezifischen Vorteil. Über Telegram lassen sich öffentlich einsehbare Gruppen erstellen, bei denen es – anders als bei Facebook und Co. – keine Regulierung durch Dritte gibt. Die Gruppen können zudem unbegrenzt groß sein und Klarnamenpflicht besteht ebenfalls nicht. Ähnlich wie auf Social-Media-Plattformen können Nutzer*Innen eine Gruppe bzw. einen Kanal abonnieren und erhalten dadurch regelmäßig neue Informationen in Form von Beiträgen, Links, Videos oder Fotos. Mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien zur COVID-19-Pandemie hat auch der Bekanntheitsgrad von einzelnen Personen aus diesen Gruppierungen zugenommen. Große Aufmerksamkeit erregte in Deutschland dabei Atilla Hildmann, der über seinen Telegram-Kanal zeitweise über 100.000 Menschen täglich erreichte. Ein anderes Beispiel ist die QAnon-Bewegung, die in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Mitglieder mobilisieren konnten. QAnon zufolge existiert eine demokratisch-satanistische Elite, ein sogenannter Deep-State, der im Verborgenen die Welt regieren soll.
An diesen beiden Beispielen wird exemplarisch deutlich, dass Telegram als Ermöglichungsraum für die Verbreitung konspirativen Inhalte fungiert. Dies liegt vor allem an der Struktur des Messenger-Dienstes, da alternative Welterklärungsmuster einem theoretisch unbegrenzt großem Publikum zugänglich gemacht werden können und Inhalte nicht wie auf anderen sozialen Netzwerkplattformen von Zensur oder Sperrung durch Dritte bedroht sind. Infolgedessen wächst die Kritik an Telegram, insbesondere aus der Politik. So sprach sich der sächsische Ministerpräsident Michael Krätschmer dafür aus, dass Telegram künftig strenger reguliert oder gegebenenfalls sanktioniert werden müsse. Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte Mitte Januar in einem Interview, sie wolle Telegram abschalten.
An dieser Stelle sei anzumerken, dass Telegram bei weitem nicht nur ein digitaler Versammlungsort für Verschwörungstheoretiker*Innen und radikale Randgruppen ist. Obwohl der Messaging-Dienst in Zeiten der COVID-19-Pandemie eher negativ konnotiert ist, stellt Telegram für etliche Nutzer*Innen ein unverzichtbares Kommunikationsmittel dar. Dies trifft vor allem auf die Zivilbevölkerung zu, die in autokratischen Systemen tyrannisiert wird. Eines der vielen hierfür zu erwähnenden Beispiele ist die Lage in Belarus. Da unabhängige Medien oftmals nicht über die staatliche Gewalt gegen Demonstrant*Innen in Belarus berichten können, dient der Onlinedienst als wichtigstes Informationsmittel für Demonstrant*Innen gegen die autoritäre Regierung von Alexander Lukaschenko. Einer der bekanntesten Kanäle ist „Nexta“, auf welchem Demonstrant*Innen und Journalist*Innen regelmäßig Beiträge, Fotos, Videos und Sprachnachrichten zu aktuellen Gegebenheiten in Belarus teilen. Ein ähnliches Bild jenes Einsatzzwecks zeichnet der aktuelle Konflikt zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation. Neben den militärischen Kampfhandlungen wird der Krieg zunehmend zum Kampf um Informationen und Deutungshoheit. Diesbezüglich hat sich Telegram sowohl für ukrainische Bürger*Innen als auch für zunehmend isolierte Russ*Innen als wichtigste Nachrichtenquelle für ungefilterte Kriegsnachrichten erwiesen. So berichten ukrainische Nutzer*Innen, dass sie über Telegram deutlich schneller über Angriffe informiert werden würden als über klassische Nachrichtenportale. Ebenso scheint der ukrainische Präsident Zelenskyj die Vorteile des digitalen Kommunikationskanals für seine Zwecke zu nutzen. So dient sein Kanal „V_Zelenskiy_official“ – 1,3 Millionen Menschen folgen ihm dort (Stand: Mai 2022) – als Plattform, um mit persönlichen Videobotschaften über die gegenwärtige Lage zu berichten und Eindrücke von den Folgen des russischen Angriffskriegs zu teilen. Konträr dazu ist Telegram derzeit eine der letzten Möglichkeiten, um in Russland an unabhängige Informationen zu gelangen. Dies gründet vor allem darin, dass ein neu verabschiedetes Zensurgesetz die Berichterstattung ausländischer Medien erschwert und klassische soziale Medienplattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram inzwischen blockiert sind. Um dem entgegenzuwirken, kündigte die New York Times im März 2022 an, ihren eigenen Telegram-Kanal zu eröffnen, um sicherzustellen, dass Nutzer*Innen in Russland weiterhin Zugang zu unabhängigen Medienberichten haben. Die Inhalte des Kanal „nytimes“ thematisieren daher ausschließlich die Berichterstattung aus dem kontinuierlichen Liveblog der Times über den militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Aber auch in Deutschland hat der Krieg Folgen auf die Nutzung von Telegram. Der Dienst wird im Zuge des anhaltenden Geflüchtetenstroms vermehrt dazu genutzt, um ukrainischen Geflüchteten differente Dienstleistungen und Unterstützungsangebote anzubieten. Kanäle wie beispielsweise „ukrainehelpberlin“ oder „ukraineberlinarrivalsupport“ unterstützen Menschen, die in Berlin ankommen, unter anderem bei der Wohnungssuche, bei der medizinischen Versorgung und der Bearbeitung von Anträgen und Dokumenten.
Resümierend wird deutlich, dass Telegram in öffentlichen Debatten ein Spannungsfeld evoziert, bei welchen sich die freie Kommunikation und die Verbreitung prekärer, nicht regulierbarer Inhalte durch Randgruppen gegenüberstehen. In diesem Zusammenhang erscheinen politische Debatte über ein Verbot von Telegram grundsätzlich nachvollziehbar, da insbesondere die Systemarchitektur des Messengers die Verbreitung von Hetze und Falschmeldungen simplifiziert. Allerdings wären Sanktionierungen oder ein pauschales Verbot von Telegram in Deutschland nicht zielführend, da die Regulierung – beispielsweise von konspirativen Inhalten – wiederum als Vorwand für die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung interpretiert werden könnte, wodurch die Radikalisierung von Einzelpersonen gefördert wird. Zudem würde ein Verbot höchstwahrscheinlich nur zu einer Verlagerung jener Inhalte auf alternative Instant-Messenger-Dienste mit einer vergleichbaren Funktionalität führen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der dem Verbot entgegensteht, ist, dass der Dienst nicht nur von radikalisierten Gruppen, sondern ebenso von vielen weiteren Nutzer*Innen verwendet wird. Umstände wie in Belarus oder die aktuelle Ukraine-Krise verdeutlichen, dass staatlich nicht regulierbare Messenger für spezifische Gruppen essenziell sein können. Hinsichtlich dessen bedarf statt eines pauschalen Verbots einen differenzierten Umgang mit Telegram, anhand dem eruiert werden kann, inwieweit die Verbreitung prekärer Inhalte über jene Messenger minimiert werden kann.
Philipp Mandt