Digitaler Kapitalismus: Großmacht Amazon und seine machtlosen Mitarbeiter (2/3)

Die Macht von Amazon – zu welchem Preis? Laut einer Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) geht durchschnittlich 60% der Onlinekäufe und 27% aller stationären Käufe eine Recherche bei Amazon voraus. Als » Amazonisierung des Konsums « beschreibt Eva Stüber vom IFH diese Entwicklung. Amazon sorgt weltweit für Aufsehen und transformiert das wirtschaftliche und soziale Leben in vielen Staaten massiv. Die technologische und digitale Vormachtstellung begünstigt eine rasante Marktexpansion und führt zu einer Konkurrenzlosigkeit, wie sie bislang nicht bekannt war. Niedrigpreisschlachten mit kleinen Konkurrenten? – ein klarer, öffentlich bekannter Bestandteil der Amazon-Strategie.   Zu welchem Preis geschieht das Preise-Drücken? Ein Blick in die internen Strukturen des Systems Amazon  Amazon beschäftigt in seinen weltweit mehr als 175 Logistikzentren über 250.000 Vollzeitmitarbeiter . Große Teile der Lagerlogistik sind inzwischen automatisiert und die Arbeit d...

Die Macht von Amazon – zu welchem Preis?

Laut einer Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) geht durchschnittlich 60% der Onlinekäufe und 27% aller stationären Käufe eine Recherche bei Amazon voraus. Als »Amazonisierung des Konsums« beschreibt Eva Stüber vom IFH diese Entwicklung.

Amazon sorgt weltweit für Aufsehen und transformiert das wirtschaftliche und soziale Leben in vielen Staaten massiv. Die technologische und digitale Vormachtstellung begünstigt eine rasante Marktexpansion und führt zu einer Konkurrenzlosigkeit, wie sie bislang nicht bekannt war. Niedrigpreisschlachten mit kleinen Konkurrenten? – ein klarer, öffentlich bekannter Bestandteil der Amazon-Strategie. 

 Zu welchem Preis geschieht das Preise-Drücken? Ein Blick in die internen Strukturen des Systems Amazon 

Amazon beschäftigt in seinen weltweit mehr als 175 Logistikzentren über 250.000 Vollzeitmitarbeiter. Große Teile der Lagerlogistik sind inzwischen automatisiert und die Arbeit der `Picker` wird von eigens entwickelten Roboter erledigt. In Hochsaisons stellt Amazon einige Hundert Saisonkräfte in den jeweiligen Logistikzentren ein. Da Saisonkräfte nur kurzfristig beschäftigt sind, entfällt eine entsprechende Sozialversicherungspflicht. Unten anfangen kann so gut wie jeder: ausgefeilte Aufgabenbeschreibung, ständig aktuelle Aufträge und Tracker auf Barcodegeräten und Apps machen klar, worauf es ankommt und was erwartet wird. Ähnlich wie das digitalisierte Produktmanagement werden auch die Mitarbeiter digital angeleitet, unterliegen also nicht Selbst- sondern Fremdkontrolle und sind gleichzeitig, wenn das gewünschte Arbeitspensum nicht erreicht ist, schnell ersetzbar.  

Bild von Pashminu Mansukhani auf Pixabay

 

“Die Arbeit der Proletarier hat durch Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit allen selbstständigen Charakter und damit allen Reiz für den Arbeiter verloren. Er wird ein bloßes Zubehör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird“ (Karl Marx/Friedrich Engels: Kommunistisches Manifest (1890), S. 5f.)

Vor 130 Jahren beschrieb Marx, was heute im System Amazons und der davon ausgehenden Arbeitsmarkttransformation sichtbar wird: Die Arbeit in den Amazon-Fabriken des 21. Jahrhunderts wird wie in der tayloristischen Fabrik des aufkommenden Industriezeitalters in Dutzende und Hunderte einzelne Handgriffe zerlegt. Dieses Konzept von Arbeit wurde im 20. Jahrhundert zumindest im tertiären Sektor durch modernisierte, flexiblere, selbstbestimmte Formen der Arbeitsorganisation ersetzt und scheint nun im System Amazons neue Relevanz gefunden zu haben. 

Wie sieht die tayloristische Fabrik des 21. Jahrhunderts aus?

Was früher Fließband war, sind jetzt Apps und Algorithmen“. Der Taylorismus als Prinzip der Organisation von Arbeit steht für die weitgehend vollständige Kontrolle der Arbeitskräfte durch maschinelle Arbeitsvollzüge, vorzugsweise am Fließband, mit dem Zweck der Effizienzsteigerung der einzelnen Arbeitskraft. Eine individuelle Arbeitsorganisation oder das Anwenden autonomer Wissenspotentiale werden im Grunde ausgeschaltet.

Von Amazon wird ein ähnliches Rationalisierungs- und Kontrollgefüge auf den Dienstleistungssektor übertragen. Elemente wie die Einfacharbeit, Ersetzbarkeit und durchrationalisierte Kontrolle sind Grundprinzipien der internen Strukturen des Unternehmens. Die spezifische Dynamik von Herrschaft und Kontrolle äußert sich im lückenlosen Tracking der Arbeitsschritte und -geschwindigkeit eines jeden Mitarbeiters in den Logistikzentren. Geschwindigkeit, Aktivitäten auf dem Diensthandy, Aufenthaltsorte per GPS – all das wird in sogenannten „Mitarbeitergesprächen“ detailliert unter die Lupe genommen. Verschwunden ist die Selbstautonomie, die in vielen anderen Unternehmen des Dienstleistungssektors an Wertigkeit gewonnen hat und dort große Potentiale freisetzt. Verschwunden sind Boni und Extravergütung, welche Mitarbeiter an anderer Stelle vielfach motivieren sollen. Amazon zählt auf eine möglichst preiswerte und effiziente Verwertung der Arbeitskraft. Wer nicht genügend leistet, wird ersetzt, das sollte als Motivation ausreichen.

Die digitale Kontigenzarbeitskraft

Marx hat den Proletarier im 19. Jahrhundert in zweifacher Hinsicht als frei charakterisiert: zum einen als freien Rechtsakteur, zum anderen frei von Produktionsmitteln. Der daraus resultierende Drang des Verkaufes der eigenen Arbeitskraft führte zu einer wirtschaftlichen und auch sozialen Integration von Arbeitskräften in große Industrieunternehmen.

Davon ist bei Amazon nur bedingt die Rede. Die Personalabteilung von Amazon zieht eine klare Grenze zwischen dem kleinen Systemkern und unzähligen zuarbeitenden, man könnte sagen formal unselbstständigen, weisungsgebundenen Mitarbeitern. Neben den bereits beschriebenen Lagermitarbeitern zählen dazu auch sogenannte Clickworker. Diese übernehmen, häufig ohne den Zweck zu wissen, Aufgaben wie bspw. die Betitelung witziger Bilder für eine Veranstaltung. Staab und Nachtwey beschreiben diese Funktion treffenderweise als digitale Kontingenzarbeitskraft. Diese kann vielfältig angepasst und eingesetzt werden und muss immer abrufbar sein. Soziale Integration fehlt dabei ebenso wie soziale Absicherung und das Gehalt befindet sich je nach nationalen Richtlinien am untersten Rand der Tarifvereinbarungen. Der Charakter von Arbeit erfährt durch Eingriffe in das Privatleben (durch ständige Abrufbarkeit) und durch die Schaffung neuer Abhängigkeiten, durch die praktische Sichtbarmachung von Kontrolle und asymmetrischen Machtverhältnissen eine fundamental neue Ausrichtung. Diese Art der „Amazon-Arbeit“ ist momentan noch häufig ein Nebenjob für Studierende oder Arbeitskräfte, die neben ihrer Haupttätigkeit einen Zuverdienst suchen. Zukünftig und mit weiter voranschreitender Digitalisierung könnte sich diese Arbeitsformen für viele als Wahl der Not entpuppen und in eine tiefere Ausbeutung führen. Im System Amazon erkennen wir einen gesellschaftlichen Rückschritt in der Organisation von Arbeit. Strukturen der Abhängigkeit erfahren eine erneute, massenhafte Aufwertung.

Bild von Jens P. Raak auf Pixabay

Adrian Nehls & Helene Walther
Name

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≠ transformation: Digitaler Kapitalismus: Großmacht Amazon und seine machtlosen Mitarbeiter (2/3)
Digitaler Kapitalismus: Großmacht Amazon und seine machtlosen Mitarbeiter (2/3)
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