“Alles neu macht Corona.” Diesen Satz könnte man wohl auf viele Bereiche des Lebens beziehen.
“Alles neu macht Corona.” Diesen Satz könnte man wohl auf viele Bereiche
des Lebens beziehen. Doch diese Krise zeigt uns insbesondere, welche Themen in
der Vergangenheit vernachlässigt wurden. Während manche Bereiche einen
regelrechten Digitalisierungs-Boom erlebten, blieben andere von diesem nahezu
unberücksichtigt. Die Folgen spüren wir jetzt!
Universitäten und Schulen mussten ihre Lehrformen förmlich über Nacht von
Präsenz- auf Online- Veranstaltungen umstellen. Während sich die Umstellung bei
Schüler*innen, denen selbstständiges Lernen weniger Probleme bereitet, noch
relativ unkompliziert gestaltet, stellt es andere Schüler*innen vor erhebliche
Schwierigkeiten, da sie mehr direkte Unterstützung benötigen. Und auch Eltern
sind einer Doppelbelastung ausgesetzt. Welchen Herausforderungen sich Familien
ausgesetzt fühlen, bringt die Radio-Reportage “Benachteiligt durch Home-Schooling: Wie
Corona die soziale Ungleichheit fördert” gut zum Ausdruck. So müssen Eltern ihrem
eigenen Job nachgehen oder sich nach dem Arbeitsplatzverlust neu orientieren
und gleichzeitig weitere neue Aufgaben meistern. Sie sind Lehrer*innen,
Motivationstrainer*innen, strukturieren den Lernalltag und noch vieles mehr.
Derzeit ist noch schwer abzusehen, welche weitreichenden Folgen das
Home-Schooling mit sich bringt. Schätzungen zufolge sind ca. 2,8 Millionen Schüler*innen in Deutschland
von Armut betroffen. Diese Schüler*innen haben die Schulschließungen besonders hart getroffen.
Dies liegt einerseits am fehlenden Arbeitsplatz, um sich auf die Schulaufgaben
zu konzentrieren, andererseits daran, dass die technischen Voraussetzungen
nicht immer gegeben sind. So fehlen in einigen Haushalten funktionierende
Computer, Drucker oder aber auch eine stabile Internetverbindung, wodurch der
Zugriff auf Lernmaterialien erschwert wird und teils nicht gewährleistet werden
kann. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Eltern eine Hilfestellung bei
den Aufgaben sicherstellen können. Gründe hierfür können einerseits zeitliche
Probleme, andererseits bildungsrelevante Hintergründe sein. Während bestehende
soziale Ungleichheiten normalerweise durch Hausaufgabenhilfe, z. B. im Hort,
abgemildert wurden, gab es in der Corona-Zeit kaum Mechanismen diese
auszugleichen. Kinder aus
Akademikerfamilien dahingegen profitieren von bereits vorhandenen Mitteln und
Ressourcen ihrer Eltern. Falls die Unterstützung aufgrund des zeitlichen
Aufwandes nicht gewährt werden kann, nutzen Eltern des Öfteren die Unterstützung
von Nachhilfelehrer*innen, um ihren Kindern eine individuelle Betreuung und
Hilfestellung zu ermöglichen. Familien die weder die finanziellen noch
bildungsrelevanten Voraussetzungen erfüllen, um die Unterstützung ihrer Kinder zu
gewährleisten, werden abgehängt, insbesondere, wenn keine externen Angebote zur
Teilhabe geschaffen werden.
Fraglich ist, ob die nun weiter aufklaffende Bildungsungleichheit
ausgeglichen werden kann, wenn der Normalbetrieb in den Schulen wieder
aufgenommen wird. Wird es möglich sein, Schüler*innen individuell zu fördern?
Dies würde bedeuten, jene Kinder mehr zu unterstützen, die mit den Aufgaben
allein gelassen wurden und zugleich die Kinder mehr zu f,ördern, welche durch günstige
Bedingungen im Home-Schooling ihrer Klassenstufe nun weit voraus sind.
Hier sind vielseitige Lösungsansätze gefordert:
- Sowohl die IT-Ausstattung von Schulen als auch deren digitale Lehrangebote müssen dringend verbessert werden. Von den geplanten Investitionen von 5 Milliarden € des ‚Digitalpakts Schule‘ wurde bisher jedoch nur ein Bruchteil bewilligt. Dies liegt an den länderübergreifenden Unterschieden bezüglich der Spezifizierung der Antragsstellung aber auch an der Uneinigkeit bezüglich der Relevanz eines digitalisierten Schulalltags. Deutschland ist hierbei im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Im Gegensatz dazu investieren Länder, wie z. B. Dänemark bereits seit 20 Jahren in die Digitalisierung von Schulen. Jeder Klassenraum verfügt über eigene WLAN-Zugänge und Schüler*innen arbeiten bereits in vielen Unterrichtsfächern mit mobilen Endgeräten. Die Verbindung von diversen Lernformen, sowie die Förderung von Medienkompetenzen hat dort bereits Einzug in den Schulalltag gefunden.
- Auch in Deutschland ist das möglich, hängt allerdings vielmehr von dem Engagement einzelner Schulen und Lehrer*innen ab. Positive Beispiele während der Corona-Pandemie zeigen, dass Schulen, in denen bereits vor der Krise ein Augenmerk auf die Nutzung digitaler Lernangebote gelegt wurde, den Übergang ins Home-Schooling leichter bewältigen konnten. Dieses Engagement der Schulen sollte auch nach der Krise mehr gefördert und gefordert werden.
- Eine individuelle Lernförderung von Schüler*innen ist nach der Krise als Priorität anzusehen, um die unterschiedlichen Bildungsstände wieder auf ein ähnliches Niveau zu bringen. Lehrer*innen müssen dabei unterstützt werden, da es unmöglich ist, sich auf alle Schüler*innen einer Klasse, im angemessenen Maße, individuell zu konzentrieren. Denkbar wäre die Verkleinerung der Klassengrößen oder auch die Unterstützung durch weiteres pädagogisches Personal im Klassenraum.
- Zwingend erforderlich ist dabei vor allem die finanzielle Unterstützung der Schulen. Zudem könnte der Frontalunterricht durch selbstständige Lernzeiten ergänzt werden. Schüler*innen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, ihr erlerntes Wissen in ihrer eigenen Weise umzusetzen, wobei gleichzeitig das selbstständige Erarbeiten von Lerninhalten gefördert wird. Die Dokumentation „Schulen im Corona – Stress – Lernen aus der Krise“ zeigt, welche innovativen Ansätze in Schulen bereits umgesetzt wurden. Veranschaulicht wird gleichzeitig, welcher erhebliche Strukturwandel des Schulsystems damit verbunden ist. Länderübergreifende Zusammenarbeit und die besondere Unterstützung der Positivbeispiele, als auch die Bereitstellung finanzieller Mittel scheinen hier unabdingbar, um das Schulsystem an die sich verändernden Bedingungen anzupassen.
- Wenn allen Kindern die gleichen Chancen gegeben werden sollen, müssen mehr Förderungsangebote für Kinder aus bildungsferneren Familien geschaffen werden. Ein positives Beispiel hierfür ist das Berliner Projekt „LernBrücken“, welches an vorangegangene Förderangebote, wie „Berliner Ferienschulen“ oder „Fit für die Schule“ anschließt und sich besonders an Familien aus sozial schwachen Milieus richtet. Hierbei identifizieren Lehrkräfte aus Brennpunktschulen Kinder, denen besondere Unterstützung zuteilwerden muss. Im Anschluss daran nehmen Sozialpädagogen Kontakt zu den betroffenen Familien auf, um ihre Unterstützung anzubieten. Innerhalb des Projektes werden Lernräume für Kinder, auch während der Kontaktbeschränkungen geschaffen, mobile Endgeräte zur Verfügung gestellt, aber auch „Bildungspakete“ per Post versendet (vgl. von Laak 2020). Im Vordergrund steht hierbei besonders die persönliche Begleitung der Kinder.
All dies bedarf politischer und institutioneller Maßnahmen, welche
priorisiert werden müssen, um ein Auseinanderklaffen der Bildungsschere zu
vermeiden. Die zu ergreifenden Maßnahmen sind divers und müssen mehr in den
Fokus einer breiteren Debatte gerückt werden.
Katarina Rönnicke
