Eine Gesellschaftsform, die sich als Meritokratie versteht, ist um Chancengleichheit für ihre Bürger*innen bemüht
Eine Gesellschaftsform, die sich als Meritokratie
versteht, ist um Chancengleichheit für ihre Bürger*innen bemüht
. So soll es möglich werden, dass Bildung, Beruf und Einkommen aus persönlichen Bemühungen resultieren und nicht lediglich in Folge der sozialen, ökonomischen und ethnischen Herkunft eintreten. Bei lehrbuchmäßiger Umsetzung von Meritokratie, würde jedem Individuum Bildung, Beruf und Einkommen entsprechend seiner Leistungen zuteilwerden.
. So soll es möglich werden, dass Bildung, Beruf und Einkommen aus persönlichen Bemühungen resultieren und nicht lediglich in Folge der sozialen, ökonomischen und ethnischen Herkunft eintreten. Bei lehrbuchmäßiger Umsetzung von Meritokratie, würde jedem Individuum Bildung, Beruf und Einkommen entsprechend seiner Leistungen zuteilwerden.
Deutschland versteht sich als Leistungsgesellschaft und
funktioniert demnach entsprechend dieser meritokratischen Vorstellungen. Dem
Idealbild versucht man mit dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit näher zu kommen.
Im § 1 (1) des Sozialgesetzbuches wird die Intention sozialer
Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit skizziert, die unter anderem „die freie
Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen“ festlegt.
Außerdem sieht das Sozialgesetzbuch vor, „besondere Belastungen des Lebens,
auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.“
Wie kann es angesichts dessen also zur folgenden Situation kommen?
Seit März 2020 erhalten unzählige
Student*innen kein Geld mehr aus ihren Nebentätigkeiten. Da für Werkstudent*innen das Prinzip
der Kurzarbeit nicht gilt, gleichzeitig viele Unternehmen ob der
Arbeitsausfälle ihre Werkstudent*innen nicht länger bezahlen können, wird ihnen
gekündigt. Seit dem Beginn des Sommersemesters 2020 werden sie ihrer Lern- und
Arbeitsbereiche in Seminarraum, Hörsaal und Bibliothek beraubt und stehen
zusätzlich vor existentiellen Bedrohungen, sofern sie vom BAföG ausgeschlossen
sind und keine finanzielle Unterstützung ihrer Eltern erhalten können.
Während Unternehmen Mitte März die Möglichkeit
Kurzarbeiter*innengeld zu beantragen erleichtert wird, die Beschäftigten sogar
rückwirkend für Anfang März das Kurzarbeiter*innengeld erhalten können und die
Leistungsbeträge Ende April erhöht werden, plant die Bundesregierung ebenfalls
Ende April, Studierenden einen monatlichen Kredit
über 650 Euro zu gewähren,
der innerhalb eines Jahres zinslos zurückzuzahlen wäre. In Anbetracht der
Ungewissheit, ob post-Corona ein Arbeitsverhältnis entsteht, mit dem die
Kreditrückzahlung gewährleistet werden kann, führt der Kredit die Studierenden
nüchtern betrachtet in ein langfristiges Verschuldungsverhältnis.
Mitte Juni räumt die Regierung eine weitere finanzielle Überbrückungshilfe ein, bei der Studierende bis zu 500 Euro für
die Monate Juni, Juli und August
erhalten können, sofern sie nachweisen, dass sie gekündigt wurden und ihre Kontostände seit
Februar/ März weniger als 500 Euro aufweisen. Je nach Kontosaldo erfolgt eine
Aufstockung bis zu 500 Euro, begrenzt auf die Monate Juni bis August. Der
höchstmögliche Zuschuss betrüge somit 1.500 Euro.
Zum Vergleich: die Höhe der Lebensbedarfskosten, die im
Zuge von ALG II gedeckt werden, beträgt aktuell monatlich 432 Euro. Zusätzlich
werden die Kosten einer (angemessenen) Unterkunft getragen. Auch der Zugang zu
Leistungen der Grundsicherung ist vorübergehend vereinfacht worden. Als Folge
wird insbesondere keine Prüfung der Vermögenswerte vorgenommen. Es bedarf
lediglich der Angabe, dass kein nennenswertes Vermögen existiert.
Hat man sich als Studierende*r in den vergangenen Monaten
Hilfe suchend auf den Internetpräsenzen der Bundesämter informieren wollen, wie
man von der Sozialstaatlichkeit des Bundes nun Unterstützung erhalten kann, ist man auf die Jobcenter verwiesen worden. Auf deren
Internetseite ist man dann wie folgt desillusioniert worden: „Allein die
allgemeinen Auswirkungen der Corona-Pandemie begründen eine solche Härte nicht.
Insbesondere die bloße Unterschreitung des bisherigen Verdienstniveaus (zum
Beispiel durch Wegfall der Nebenbeschäftigung) stellt noch keine besondere
Härte im Sinne der gesetzlichen Vorschrift dar.“
www.arbeitsagentur.de/corona-faq-grundsicherung
Wenn man davon ausgeht, dass Werkstudent*innen über ihre
Nebentätigkeit zumeist kaum mehr Geld verdienen, als dass sie davon ihren
Lebensunterhalt nebst Krankenversicherung finanzieren, den Semesterbeitrag und
geringfügigen Kulturkonsum, darf davon ausgegangen werden, dass eine
Unterschreitung dieses „Verdienstniveaus“ zu einer existentiellen Notsituation
führt, in der weder Geld für Miete, noch Lebensmittel, geschweige denn für die
aktuell anstehende Rückmeldung zum Folgesemester zur Verfügung steht. Dass
solche Umstände zu der Erwägung führen, das Studium sogar abzubrechen, ist sehr
realistisch. Der Verbleib im tertiären Bildungssektor ist also insbesondere für
jene Studierende gefährdet, die nicht auf das ökonomische Kapital ihrer Eltern
zurückgreifen können. Dies kann mittelfristig zu einem Anstieg der
Bildungsungleichheit führen.
Ein gerechterer Zugang zum tertiären Bildungssektor ließe
allen die Möglichkeit, sich Bildung anzueignen, die den eigenen Fähigkeiten
angemessen ist. Die dafür sinnvollste und effektivste Absicherung wäre die Öffnung des Zugangs zum BAföG (der Bafög Höchstsatz beträgt derweil 853 Euro, ist erst ab
einem bestimmten Einkommen, zinsfrei und gedeckelt zurückzuzahlen). Anstatt
sich um soziale Belange zu kümmern, scheint die Regierung jedoch derzeit
vornehmlich den Pandemie-bedingten wirtschaftlichen Sinkflug verhindern zu
wollen. Beim Blick auf die unverhältnismäßigen finanziellen Unterstützungen,
die Konzernen zugesprochen werden, erscheint Matthäus vor meinem inneren Auge:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer
aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“ (MT 25, 29)
Lang- und kurzfristig betrachtet wird von der geplanten
Mehrwertsteuersenkung zur Konsumverleitung jedenfalls kein*e betroffene*r Studierende*r
profitieren. Geschweige denn wird es dazu führen, dass sie dem
Wirtschaftskreislauf Kapital zuführen, da sie über keines mehr verfügen werden.
Lisa Fritsch
