Ingeborg, eine langjährige Bekannte der Familie , ist über 80 Jahre alt und seit mehreren Jahrzehnten treue Stammkundin des ortsansässigen Schwimmbads
Noch in den 1990ern wurde das Internet fast ausschließlich von jungen Leuten genutzt. Die Ergebnisse der ZDF/ARD-Onlinestudie zur Internetverbreitung belegt, dass es in den 2000ern zwar besonders bei den Menschen mittleren Alters einen starken Anstieg der Internetaktivität gab. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2019 (Julian Stubbe, Samer Schaat, Simone Ehrenberg-Silies) gibt es jedoch rund 10 Millionen 'Offliner' in Deutschland – davon sind zu 75% über 65-jährige.
Älteren Menschen in Deutschland mangelt es in erster Linie an dem nötigen digitalen Know-how, um mit der modernen Technologie umgehen zu können. Vorausgesetzt der Zugang zu einem Computer oder Smartphone ist gegeben, dann stehen Senior_innen trotzdem erst einmal Herausforderungen gegenüber, die für Menschen der Generation “digital natives” kaum nachvollziehbar sind. Alleine die Hand-Augen-Koordination, die zur Steuerung eines Computers nötig ist, kann für ältere Menschen zum Problem werden. Viele Senior_innen trauen sich deshalb den Umgang mit der neuen Technik gar nicht erst zu. Hinzu kommen bestimmte Gefahren, die im Internet lauern. So werden ältere Menschen häufiger Opfer von sogenannten Internet-Abzocken, weil diese besonders auf Menschen abzielen, die geringe digitale Kompetenzen bzw. Erfahrung im Netz haben. Solche Online-Betrüger_innen versuchen zum Beispiel über Emails an Geld zu kommen, indem sie sich als Verwandte ausgeben. Auch Datenklau und Bestellbetrug ist im Internet weit verbreitet. Betroffene Senior_innen verstehen oft gar nicht oder erst zu spät, dass sie Opfer eines Betruges geworden sind.
Inzwischen hat das Internet im Zuge des digitalen Zeitalters so gut wie alle Bereiche der Alltags- und Lebenswelten durchdrungen. So gaben die Befragten der Bertelsmann-Studie von 2019 an, dass zwar nach wie vor Kommunikation mit Familie und Freunden wichtigster Bestandteil der Digitalisierung ist, aber auch, dass es einen Bedeutungsgewinn behördlicher Angelegenheiten gibt. Seitdem es Online-Banking und Online-Terminvergabe gibt, wird sogar der Gang zur Bank oder zum Gemeindeamt überflüssig – der einzige soziale Kontakt, der älteren Menschen häufig noch bleibt. Diese Einsamkeit ist kein Einzelproblem: viele Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass vor allem Frauen im Alter oft allein leben, da sie statistisch gesehen älter werden als Männer.
Wie selbstverständlich unser Alltag heute durchdigitalisiert ist, wird in Zeiten wie der Covid-19-Pandemie besonders deutlich und wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Aufgrund der neuen Schutzmaßnahmen im Rahmen dieser Krise ist der Kontakt zu älteren Personen stark eingeschränkt worden. Gerade in Pflegeheimen ist die Isolation und damit die Einsamkeit groß, denn dort ist der Besuch nach jüngsten Lockerungen immer noch auf eine Person beschränkt, sofern es in der Einrichtung keinen Corona-Fall gibt. Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (Biva) berichtet von verheerenden gesundheitlichen Folgen des fehlenden regelmäßigen Kontakts mit Angehörigen. Sowohl ein Verlust von Lebensfreude als auch kognitiver Fähigkeiten, starke Veränderungen des Gewichts und eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes werden von Angehörigen beklagt. Eine Erweiterung der Besuchsdauer und -häufigkeit sowie bedarfsgerechte Besuchsregeln stehen noch aus.
Die Einsamkeit zeigt sich auch in der gestiegenen Nachfrage nach der Berliner Hotline Silbernetz für einsame Senior_innen. Dagmar Hirche, Gründerin des Hamburger Vereins Wege aus der Einsamkeit, bringt Menschen ab 65 den Umgang mit Internet, Smartphones und Tablets bei und hält Vorträge zu Digitalisierung und Alter. Neuerdings veranstaltet sie auch Zoom-Partys, bei denen sie mit Senior_innen Spiele spielt und einen Austausch mit neuen als auch alten Gesichtern ermöglicht.
“Digitale Souveränität” fordern die Autor_innen der Bertelsmann Studie. Damit meinen sie die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens durch den Erwerb digitaler Kompetenzen.
Dies kann aber nicht auf rein individueller Ebene geschehen. Für viele Menschen über 65 bleibt der digitale Alltag abstrakt. Sie stehen nicht länger im Berufsleben und sind auch oft nicht mehr in der Fürsorgepflicht für Kinder.
Dabei ist zu beachten, dass Ältere keine homogene Gruppe sind und sich hinsichtlich von Lebensentwürfen, Gruppierungen und Milieus unterscheiden. Insbesondere, da sich unter den 65+-Jährigen auch die Generationen befinden, die die digitale Transformation auf den Weg gebracht haben. Deshalb sind ihre Bedürfnisse, Interessen und Kompetenzen genauso vielfältig wie die der Jüngeren. Das wird auch deutlich an der Generationenkluft in Deutschland, welche sich zwar aufgrund der Technikgeneration langsam schließt, aber im Vergleich zu den skandinavischen Ländern noch nicht aufgeholt wurde. Die Nutzung des Internets hängt hier stark von soziodemografischen Faktoren ab, wie etwa Unterschiede im Bildungsniveau und in der Wertehaltung.
Stubbe et al. (2019) plädieren für Bildungsangebote, die auf die Neugier älterer Menschen eingehen und über eine rein technische Aneignung hinausgehen. Denn eine grundlegende „Neuheitsorientierung“ sei in den digitalen Milieus der „souveränen Realisten“, den „Netz-Enthusiasten“ und den „unbekümmerten Hedonisten“ durchaus ausgeprägt. Das Wachstum einer solchen Neuheitsorientierung bis 2030 ist zwar wahrscheinlich, jedoch bleibt offen inwiefern sich die Lücke zwischen den Überforderten und den Begeisterten schließen lässt. Wenn 71% der Offliner_innen ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 2.000 Euro haben, dann zeigt das deutlich, dass dies neben dem formalen Bildungsgrad eine wesentliche Rolle in dem Umgang mit Technik spielt. Die DIVSI Ü60-Studie zeigt außerdem, dass es mit einem großen Abstand die über 70-Jährigen sind, die keinen Bezug zur Online-Welt haben. Und auch Senior_innen schneiden etwas schlechter ab. All dies weist darauf hin, dass sich die analogen Ungleichheiten auch digital fortsetzen. Daher ist es wichtig auch hier besondere Unterstützung zu leisten.
Die Kommunikation mit Familienangehörigen, Online-Bestellungen und selbst der Erwerb eines Online-Tickets für das Schwimmbad sind bei fehlender Souveränität ein Einschnitt in das gesellschaftliche Leben. Gerade in Zeiten von COVID-19 wird deutlich, dass der souveräne Umgang mit digitalen Medien eine Chance zur besseren Mobilität, Selbstständigkeit und Vernetzung bieten kann. Dazu gehört allerdings nicht nur Vertrautheit mit der Nutzung eines Smartphones, sondern auch die Fähigkeit, mit neuen Entwicklungen umgehen zu können.
Zumindest ist eine Besserung in Sicht. Inzwischen gibt es immer mehr Mittel, um älteren Menschen beim Umgang mit der digitalen Technik helfen. Beispielsweise barriere- und kostenfreie Angebote, um Texte und Bilder zu vergrößern und sich vorlesen zu lassen. In Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschaftshilfen und über 1.000 deutschen Vereinen und Verbänden können sich Senior_innen gegenseitig dabei helfen oder von anderen helfen lassen digital fit zu werden. Neben den Vorteilen von Online-Shopping, Online-Banking, telemedizinischen und anderen unterstützenden Angeboten sind es aber auch die sozialen Aspekte der digitalen Welt, die wichtig sind und berücksichtigt werden sollten. Apps wie meetup.com helfen dabei lokale Gruppen für Freitzeitaktivitäten zu finden und über datemyage.com können auch Menschen über 65 auf Partnersuche gehen. Auch die Gaming Welt erschließt sich mehr und mehr Senior_innen: in den USA waren es 2019 rund 51 Millionen, die Videospiele gespielt haben. Videoanrufe ermöglichen die Aufrechterhaltung des sozialen Kontakts mit Familienmitgliedern und Freund_innen, wofür über Generationengrenzen hinweg Skype, FaceTime oder Zoom momentan stark genutzt werden. Das Erhalten sozialer Beziehungen sollte kein Privileg junger Menschen sein. Digitale Angebote und Hilfen für ältere Menschen sind besonders in diesen schwierigen Zeiten der aktuellen Corona-Pandemie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich dringender denn je gewidmet werden muss, damit ältere Menschen gesellschaftlich nicht abgehängt werden. Die Datenwelt für alle erfahrbar und verstehbar zu machen ist damit eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und betrifft sowohl Bürger_innen, Politik und Zivilgesellschaft als auch Wirtschaft und Wissenschaft.
Aline Lupa & Isabella Kaul